Fesiglace 2024

Veröffentlicht am 2. März 2024 um 14:43

Festiglace

Wie soll ich mich hier kurz fassen. Danke Vivien, alles dank dir. Da beim Enduro Wettkampf nur 24 Personen zugelassen sind, werden die Spots sehr schnell vergeben. Ich entschied mich sowieso sehr spät dazu, für die Weltmeisterschaft nach Kanada zu gehen und diesen Wettkampf mit den anderen Schweizer Athlet*innen zu besuchen. Da war die Anmeldung längst geschlossen. Unter den Startenden standen Namen die ich mit viel Bewunderung verfolge, wie Jeff Mercier, Sarah Hueniken, Will Gad und so weiter. Ich hatte keine Ahnung von diesem Wettkampf und was hier verlangt wird, nur soviel wusste ich: Es findet in 'richtigem' Mixedgelände statt.

In den letzten Metern des Schwierigkeitswettkamp in der Ponte Rouge ca. M9. Bildrechte bei Nelson Rioux

 

Als wir das erste Mal vor dem Wettkampf die Locatio Ponte Rouge betraten, waren wir überwältigt von steilen und edlen Linien durch Fels und Eis. Bei näherem Betrachten wurde uns aber eines klar, die Felsqualität wird uns einiges an Anpassungsfähigkeit abverlangen. Es war ein Kieswerk der vertikalen. Dadurch veränderte sich jede Route nach jeder Begehung zu einem neuen Unikat, zumindest beinahe. Doch an der Motivation für die Kletterei hat das nichts eingebüsst, denn zu imposant waren die hängenden Zapfen, sowie die anziehende Vorstellung, mit bedacht daran hoch zu tänzeln. Um am Wettkampftag so effizient wie möglich klettern zu können, empfiehlt es sich die Routen genau anzuschauen und sich dabei die besten Hooks und Betas einzuprägen. Ich beobachtete mit Ehrfurcht, wie all die starken Kletternden eine Linie nach der andern bezwangen. Selbst genoss ich jede Bewegung und wie schnell wir Route um Route klettern konnten, dank der bereits hängenden Expressen und Eissicherungen. Mit jedem Meter den ich machen durfte, wurde mein inneres Feuer etwas stärker und ich genoss die Zufriedenheit, dass mich meine Entscheidungen an den genau richtigen Ort im Leben gebracht haben. 

Da mich in Kanada niemand kannte, spürte ich auch keine externen Erwartungen. Ich fühlte mich voller Energie und hatte grosse Lust darauf richtig viele Klettermeter zu sammeln.  Das Ziel des Wettkampfs war es, innert zwei Blöcken in zwei verschiedenen Sektoren währen 90 Minuten so viele Routen wie möglich zu klettern. Je anspruchsvoller und länger die Route, desto mehr Punkte gab sie und im Fall eines Sturzes gab es keine Punkte. Ich wurde mit David Bouffard eingeteilt, ein hervorragender Wettkampfeiskletterer und sehr sympathischer Mensch, der zudem in der Region von Quebec aufgewachsen ist und den Wettkampf sowie die Ponte Rouge besten kannte. Zuerst war ich mit sichern dran, er startete mit der schwersten Route, einer M8, die er solide kletterte und sich somit einige Punkte holte. Zwischen den Routen versuchte ich ihm so gut wie möglich zu helfen indem ich das Seil trug und regelgemäss den ersten Express mit dem Clipstick einhängte. Früh am morgen lag eine eisige Kälte über der Schlucht, was die Leistung all dieser Kletternden umso beeindruckender machte. Nach der ersten Route konnte man in vielen Gesichtern das leiden des beissenden Kuhnagels sehen, wobei das wissen fast schlimmer war, dass wir dafür sogar noch Startgeld bezahlt haben. Diese Lebenseinstellung sagt wohl mehr über uns aus, als wir gerne zugeben möchten. 

Bald erklang schon der Countdown für die nächste Runde, wo ich mit Klettern dran war. Ich konnte ebenfalls die M8 als erste Route klettern, wobei ich sie zuvor nie geklettert bin und einen soliden wenn auch sehr langsamen Onsight hingelegt habe. Danach kletterte ich immer die Routen die gerade frei waren und freute mich vor allem auf die Eispassagen, in denen man sehr zügig vorwärts kam. Route um Route hakte ich ab wobei ich zwischendurch hörte wie in den entfernten Lautsprechern meinen Namen gesagt wurde. Erst am Ende der Runde kamen die Schiedsrichter begeistert auf mich zu, und sagten mir, wen ich so weitermache, hätte ich gute Chancen, auch mit den stärksten Männern mitzuhalten. Ich fühlte mich geehrt von all den begeisterten Personen, die völlig überrascht von meiner Leistung schwärmten. Der zweite Sektor war mehr abgeschottet und vollkommen im Schatten. Die Routen waren tendenziell anspruchsvoller und länger. Nach dem Mittagessen war wieder zuerst David dran, der es schaffte, nach seinem letzten Block noch mal einen draufzusetzen. Die letzten Sekunden wurden heruntergezählt und David lieferte einen fesselnden Endspurt um jede Sekunde in einer anspruchsvollen Route. Eine berührende Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit, als er nach dem letzten großen Kampf den Boden betrat und sein Resultat stand. Es schien in keineswegs zu stören, dass er nun noch 90 Minuten bei -15 Grad Celsius sichern muss. Die Kanadier scheinen die Kälte anders wahrzunehmen als wir in unserer kleinen beinahe eislosen Schweiz. Auch in diesem Sektor konnte ich die schwierigsten Routen punkten, wobei es mich immer mehr gepumpt hat, nicht nur aus Müdigkeit, auch aufgrund der Kälte. Die ganzen 90 Minuten war ich komplett im Film, hatte einen enormen Fokus auf die Kletterei und spürte die Freude in jeder Bewegung die ich machen durfte. Ich habe keine Sekunde bereut, mich für die Bergschuhe und Steigeisen entschieden zu haben, statt den Toolyboots, meine Zehen haben es mir gedankt. Mittlerweile wurde mir klar, dass ich leider trotzdem nicht ganz mit der männlichen Elite mithalten konnte. Es wäre ja auch ein tragischer Verlust meiner grossen Idole gewesen, hätte ich ihnen wirklich Konkurrenz machen können. Dennoch schien ich genau diese Menschen mit meiner Leistung als Frau beeindruckt zu haben. So durfte ich berührende Worte von Will Gad hören, Sarah beglückwünschte mich mit viel Achtung und nach einem sehr langen Abend und viel Überwindung konnte ich sogar mit dem einzig wahren Jeff Mercier sprechen, der sogar angeboten hat, mal etwas zusammen zu unternehmen, whuaaat? jiiipiiieeeeee!!!! Wobei ich bezweifle, dass ich je den Mut haben werde, auf diese Angebot zurück zu greifen.

Am darauffolgenden Tag war noch der Schwierigkeitswettkampf, dafür wurde extra eine Route mit Motorsäge und Bohrmaschine präpariert. Dabei stand primär der Sicherheitsgedanke im Vordergrund aber natürlich auch, dass die Route für alle Teilnehmenden möglichst gleiche Bedingungen bietet. Im Gegensatz zum Enduro Wettkampf, schien dieser weniger Beliebtheit für die Zuschauenen wie auch die Athelt*innen. Im typischen Bruchfels der Ponte Rouge, ging es erst leicht überhängend durch den Fels, danach über kurze Eispassagen wieder in den Fels, wo dann der imposante Ausstieg über einen abgesägten Zapfen folgte. Nach der Begehung der Route wurde mir gesagt, dass es sich ca. um eine M9 handelt, wobei man bei gebohrten und markierten Eishooks wohl keine gerechte Bewertung abgeben kann. Ich schaute fasziniert Sina Goetz, zu wie sie sich präzise durch diesen anspruchsvollen Fels bewegte, was mit dem wissen umso bewundernswerter war, wie selten sie sich im Mixedgelände bewegt. Sie ist einfach ein Naturtalent in jeglichem Klettergelände, hat eine unglaubliche Mentale stärke und bietet den zuschauenden ein nahezu perfektes Beispiel von leidenschaftlicher Bewegung. Auch Benji, ein unfassbarer Kletterer, sozusagen das männliche Pendant zu Sina zeigte eine wahrhafte Glanzleistung. Er ist ein junger Alpinist dem ich alles zutrauen würde, da er in einfach allen Bergsteigerischen Disziplinen ein beeindruckendes Niveau hat.

Nach der Rangverkündigung und dem unaufhörlichen Grinsen über meinen ersten Platz und dem wohltuenden Gintonic im Magen, sah ich meine Gelegenheit darin, meinen Idolen mit einer etwas absurden Aktion im Gedächtnis zu bleiben. So bat ich Sarah und Will um ein Bild, wo ich sie elegant auf den Armen halte. Leider wirkte der Alkohol nicht stark genug, um auch Jeff zu dieser Aktion zu überreden.

Am Abend gab es eine kleine Party mit freien Getränken und Essen. Ich war zwar Fahrerin und erwartete von den Kanadiern die totale Eskalation, die aber bis spät in den Abend ausblieb. Eher stand man beisammen und führte gesittete Gespräche über allerlei Themen, in einem Mix zwischen Englisch und dem kaum verständlichen quebecischen Französisch. Da am darauffolgenden Tag Montag war, mussten viele arbeiten gehen und verabschiedeten sich schon bald. Doch ich spürte von allen Anwesenden einen bestätigenden Respekt vor mir und meiner Leistung, was meinem oft mangelnden Selbstwert bestimmt zu gute kommt. So gingen auch wir irgendwann Nachhause, um uns am nächsten Tag auf den langen Heimweg in die Schweiz aufzumachen.

Es war für mich ein sehr bedeutendes Erlebnis, geprägt von Dankbarkeit, Freundschaft, Passion und Lebenslust, was leider nicht immer ganz so selbstverständlich ist, weshalb man es umso mehr geniessen sollte.

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