Wo das Flämmchen zum Feuer wurde
Es waren einmal, vor vielen Jahren, zwei junge Frauen. Die unzerstörbare Jolä und der furchtlose Fränzel*. Sie standen auf der Griesalp und hatten einen langen Hüttenzustieg über die Gamchilücke vor sich. Das störte sie aber kaum. Sie waren nämlich voller Motivation, beinahe von unzähmbarem Hunger nach Erlebnissen und Erfahrungen. Sie hatten keine Zweifel an ihrem Können und dem Erfolg dieser Tour, denn sie waren vorbereitet. Von genauester Planung bis zur menschlichen Muskelkraft überließen sie (beinahe) nichts dem Zufall. So starteten sie ihre erste eigenständige Bergtour auf einen unscheinbaren Gipfel, das Lauterbrunner Breithorn. Am Tag darauf gingen sie im frühen Morgen los, liefen über den Üsser- und Innertalgletscher zur Wätterlickä wo der Westgrat startete. Sie stiegen zügig über den Grat auf den Gipfel, gratulieren sich mit freudigen Gesichtern, stiegen denselben Weg ohne Probleme wieder ab, kamen zur Lücke, zurück zur Hütte, über die Gamchilücke zurück ins Kiental und mit dem Auto nach Hause. Irgendwie wahnsinnig unspektakulär und doch eine so bedeutende Tour für diese kleinen Wesen, denn sie lernten, sich einfach “däfür z ha”.
Viele Jahre darauf sah ich diesen Berg als den Anfang eines neuen Kapitels meines Lebens. Das Kapitel: einfach gehen, mehr ist mehr, ganz typisch nach Sturm und Drang. Natürlich nicht im Sinne von: einfach das Leben riskieren, eher im Sinne von: einfach mal die Selbstzweifel auf die Seite schieben. Die innere Stimme der Ungenügsamkeit mit Panzertape zum Schweigen bringen und auf Verstand und Kraft setzen. Mit all den Monaten im Hinterkopf, in denen ich mich an nasskalten Tagen im Gartenbau abgemüht, Tonnen von Schutt geschaufelt und tausende von Treppenstufen mit Kübeln voll Kies erklommen hatte. Mit dieser Einstellung wurde ich von einer jungen ziellosen Frau, die sich die Wochenenden mit exzessivem Alkoholkonsum vertrieb, zur Bergsteigerin. Fast von einem auf den anderen Tag hatte ich nichts anderes mehr im Kopf, als die Berge. Und als ich diese verlockend scharfkantigen Spielzeuge namens Eisgeräte entdeckte, war in mir ein Feuer ausgebrochen, das kaum zu löschen war. So ging es bald an die einschüchternd schattigen Wände. Natürlich entging mir auch die verlockende Nordwand des Lauterbrunner Breithorns nicht. Im unscheinbaren Schatten der Jungfrau, neben all den hohen, steilen Wänden des Lauterbrunner Talkessels. Bald träumte ich davon, einmal an diesen Berg der Anfänge zurückzukehren. Natürlich über eine Nordwand, die so selten von Bergsteiger*innen gewürdigt wird.
Fotoquelle: SAC, PDF Breithorn 3780 m_Alpes-Bernoises_ Selection-Itineraires_2002_fr, unsere Tour die 422a
Maumau, ein Mann, der kaum weiter von MiauMiau (woran mich sein Spitzname immer erinnert) entfernt sein könnte. Von Gelassenheit geprägten doch stet's Zielstrebig und Zuversichtlich. Ein Mensch, der so in sich zufrieden ist, dass er auch seine wildesten solo Begehungen kaum jemandem mitteilen muss. Es scheint, als sehne er sich nicht im Geringsten nach Anerkennung. Mit ihm kann man einfach eine Tour planen, probieren, scheitern oder brillieren – es spielt irgendwie keine Rolle, wenn man einfach in den Bergen war. Und genau diese Einstellung führt zu einer zwischenmenschliche Leichtigkeit, die es umso einfacher macht, zusammen die Grenzen des scheinbar Möglichen zu sprengen.
Foto: Maurus Andrea Bucher, während des Rekognoszierungsspaziergang im Breithorngletscher
(Ende Oktober 2024) Es gab viel Neuschnee ab ca. 3400 m ü. M., das war uns bewusst, und doch wollten wir es probieren. Ein idyllischer Herbsttag mit warmen Farben der Wälder im Tal, die in das frische weiß der Berge überging, bot sich uns im langen Zustieg zur Schmadrihütte. Die Hütte war komplett ausgebucht (8 Plätze), was uns spekulieren ließ, welche Menschenarten sich auf den langen Weg machten, um in dieser abgelegenen Hütte zu übernachten. Wir waren uns zumindest sicher, es würden nicht alles Bergsteiger*innen sein, denn dafür waren die Verhältnisse zu unsicher. Ein lustiger Abend mit einer Horde junger, trinkender Männer verging und ich genoss, wenn auch wenig schlafend, die fröhlichen Geräusche des Nebenzimmers. Trotz der nächtlichen Unterhaltung standen Maurus und ich früh auf, um den langen Tag in Angriff zu nehmen. Nach Kaffee und Birewegge ging es zuerst auf das Plateau des einstigen Breithorngletschers hinunter, dann über Busch- und Geröllfelder zum Einstiegsschneefeld, wo wir einen großen Lawinenkegel überquerten. Auf diesem Schneefeld waren wir direkt in der Schusslinie des Seracs vom Obera Breithorngletscher, der mächtig die Nordseite des Breithorns markierte. Nach einem kleinen Geh-Sprint erreichten wir den Grat, wo ich, noch immer beunruhigt vom Serac, schnell auf dem stabilen Gneis hochstieg, bis ich mich davor sicher fühlte. Danach kletterten wir weiter seilfrei hinauf, bis wir auf Kalkstein stießen und mit ihm, der Bruch und die abschüssigen Platten. Bisher hatten wir kein fläumchen Schnee oder Eis auf dem Felsen. Doch da begannen sich Schneefelder zu verbinden, und es bildete sich hier und da etwas Eis. Mit den Steigeisen querten wir die Schneefelder und hookten mit den Pickeln feinste Eisschichten. Aus erwachsener Vernunft packten wir dafür sogar das Seil aus, welches uns den Rest des Berges begleitete. Wir stießen auf perfekten Firn und auf leichte eisige Aufschwünge, welche mein Herz erblühen ließen. Bei dieser wunderbaren Eiskletterei begann es auch noch Tag zu werden, und ich spürte eine seltene innere Ruhe und Zufriedenheit. Der Grat verlief immer mehr in eine Wand und führte uns auf eine Kuppe, wo wir nun den oberen Teil der Wand mit den vielen Rinnen von Nahem sehen konnten. Oder zumindest ein paar Hundert Meter, bis sich die Wand hinter dem Nebel versteckte. Wir gingen weiter und genossen noch ein paar Höhenmeter optimale Bedingungen, bis wir den Neuschnee erreichten. Was wir unten an Zeit gut gemacht hatten, verfiel nun in den tiefen Tritten des Neuschnees, der so ungebunden wie die modernen Beziehungskonzepte, auf bloßem Felsen lag. Wir stampften, buddelten, stampften, querten, stampften und buddelten uns Meter für Meter den Berg hinauf. Eine Stunde verging, und wir hatten kaum Höhe gemacht, eine weitere verging, und wir kämpften uns weiter durch Schnee und Nebel hinauf. Kurz vor dem erlösenden Grat hieß es noch mal, alle Nerven zusammenzunehmen und abschüssige Kletterei hochmurxen, bis wir dann, langsam wieder aufrecht gehend, die letzten Meter vom Sporn zum Hauptgrat wühlen konnten. Kaum erreichten wir die Kante, pfiff uns ein starker, eisiger Wind ins Gesicht. Jedes Schneekörnchen, das aufgewirbelt wurde, peitschte uns mit schmerzender Wucht ins Gesicht, als würde wir von einer Horde Dartpfeilen beworfen werden. Zeitweise lichtete sich der Nebel ein paar Meter und zeigte einen langen, verschneiten Grat, der ins unendliche Weiß verlief. Schritt für Schritt ging es voran, die Augen meist geschlossen vor den kleinen, fiesen Schneekornkatapulten, bis wir auf einem Gupf waren, der höher schien als diese zuvor und das, was noch vor uns zu liegen schien.
Foto: Maurus Andrea Bucher, Routenverlauf und der Powder, den man sich lieber unter den Skies als den Steigeisen wünscht.
Ohne Pause stiegen wir weiter Richtung Westen ab. Obwohl ich dachte, den Absteig zu kennen, hatte ich mit all dem Schnee keinerlei Orientierungs- und Erinnerungspunkte. Dem Grat folgend, liefen und kletterten wir langsam und stetig hinunter. Der starke Südwind peitschte den Schnee an die Wand und hinterließ uns einen perfekten Rime-Ice-Schicht, worin wir rasch vorankommen. Zeitweise seilten wir ein paar Meter ab, und immerzu wurde der Wind schwächer und der Schnee klebriger. Bis sich durch den Nebel die erlösende Lücke zeigte, in der noch die Sonne lag. Getragen von der Motivation, bald die Lunch Gummibärchen zu vernichten, stiegen wir rasch und leichtfüßig das Schneefeld hinunter und ließen uns im Windschatten der Wätterlickä nieder, um unsere Blasen zu leeren und die Lunchseckli zu plündern. Nicht nur Gummibärchen, auch Honig-Cashews, Blümli-Käse und andere Delikatessen gaben uns Kraft, für den kommenden langen Abstieg.
Foto: Maurus Andrea Bucher. Als wir unten waren, hatte es natürlich keinen Nebel mehr.
Ein kurzer Moment der Dummheit ereilte uns, als wir sahen, wie nahe die Bushaltestelle der Fafleralp war, doch wir Genies richteten unterhalb der Schmadrihütte ein Mini-Materialdepot ein. So versuchten wir diesen Gedanken zu ignorieren und liefen weiter über den Gletscher, welcher für einen Moment noch mal beide Eisgeräte verlangte und uns einen interessanten Eisparcour bot. Danach rutschen wir auf unseren Füdlis das Schneefeld hinunter, spazierten über den restlichen aperen Gletscher und pausierten dann, um alles Material zu verpacken. Gerüstet mit Thermo-Unterwäsche-Leggings wanderte ich figurbetont durch das endlose Fels- und Geröllgebilde, dass nie endend Richtung Materialdepot führte. Nach einer Ewigkeit überwanden wir die Holzbrücke, packten unser Material ein und liefen die weiter folgende Ewigkeit den Hang hinunter Richtung Stechelberg. Während ich 50 % meiner Hirnkapazität daran verschwendete, nicht an die Fafleralp zu denken, genoss ich mit den anderen 50 % Maumau’s Anwesenheit und seine stets weisen Erzählungen aus seinem doch traditionell strukturiertem Leben . Nachdem wir uns auch noch etwas verlaufen hatten, erreichten wir mit müden Gliedern die Busstation und ließen uns zufrieden erschöpft in die Sitze des Gefährts fallen. Ab in den Zug, über Interlaken nach Bern, ein dicker Abschieds-Knuddel, und schon lag ich in meinem heimeligen Bett, ziemlich am Ende und erfüllt von dankbarer Zufriedenheit. Solche Erlebnisse lassen einen noch lange an der Erinnerung zehren. Sie stärken eine Freundschaft, wenn sie auch meist still im Hinterkopf liegt, doch im passenden Momenten stets nur schönste Abenteuer weckt. Einmal mehr erhöhten sich meine Mundwinkel bescheiden und dennoch stolz, sich “einfach” däfür gha z ha.
Kleiner Nebenfact: Von der Wätterlickä zur Fafleralp 1400hm & 6km, von der Wätterlickä nach Stechelberg 2400hm & 12 km. 🤦♀️🤦♂️ Aber hei, wir mussten unsere 'bleischweren' Seidenschlafsäcke nicht über den Berg tragen. Lektion gelernt: Plane nicht nur den Aufstieg penibel.
*mein Vater nannte mich Fränzel, weil ich immer ein Junge sein wollte, weil sie coolere Spielsachen besaßen. Doch da sich meine Familie nie darum scherte welche Geschlechterrollen wir repräsentierten, wurde mir rasch klar, dass das Geschlecht nicht vorgibt welche Spielsachen man mögen darf, welche Kleider man tragen muss oder wie man sich zu verhalten hat. Man kann einfach ein Mensch sein der irgendwelche Dinge mag, ganz unabhängig vom biologischen Geschlecht. Dafür bin ich Dankbar.
Wenn du bis hier gelesen hast, WOW- Respekt! Bis zum nächsten Mal (hoffentlich (; ) und häb dir ganz fest Sorg. 🤗
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