Tödi Nordwestwand

Veröffentlicht am 13. März 2025 um 17:39

Ich schlage mit dem Eisgerät zum dritten Mal bestimmt zu und erneut splittert nur ein großer Teller ab, der nach unten saust. Ich kann nur hoffen, dass er Maumau beim Sichern verfehlt. Der Pickel hält ein wenig, aber nicht so, dass ich mich daran hochziehen möchte. Und schon wieder rasselt es von oben. Erneut bücke ich den Kopf und warte ab, bis der Spindrift vorbei ist und ich weiter klettern kann. Langsam beginnt auch der Kuhnagel einzusetzen. Die einzige restliche Eisschraube will ich für den nächsten Stand aufbewahren, den ich strategischerweise erst in ca. 10 Metern machen sollte, die letzte sehe ich schon längst nicht mehr. Das Eis ist hart und splittrig. Die Hände taub. Der Kopf müde und stur. Und so hänge ich hier mitten in einer steilen, kalten Nordwand und verspreche mir erneut, mir so etwas nie wieder anzutun. 

Tödi Nordostwand Blick von Planurahütte, Foto: Maurus Bucher

Strahlend blauer Himmel zeigt sich, während wir ins Glarnerland fahren. Das Auto im Tierfed deponiert, holt uns ein Bekannter ab und nimmt uns zum Urnerboden mit. Dort bringt uns die Gondel zum Fisetenpass und von da starten wir wie gemütliche Tourengänger*innen Richtung Gemsfairenstock. Natürlich lassen die Eisgeräte erahnen, dass es noch etwas steiler werden könnte, aber heute widmen wir uns der Sonne und dieser eindrücklichen Aussicht. Anständig überlassen wir die letzten Gipfelmeter zum Gämsfairenstock unseren 50-jährigen Ichs und machen uns zur Abfahrt auf den Claridenfirn bereit. Danach laufen wir in einer Seelenruhe den leicht steigenden Gletscher hoch, mit dem Übernachtungsziel: Winterraum Planurahütte. Kurz vor der Hütte beobachten wir das Spektakel vieler Helikopter und einem kleinen Flugzeug, die sich den alpinen Landeplatz zunutze machen. Als wir dem Piloten des kleinen Flugzeugs vorbeilaufen, entwickelt sich nach einem kurzen Hallo schnell ein interessantes Gespräch. Seinerseits beantwortet er uns viele Fragen über das Fliegen, sein Flugzeug und seine Fly-Ski Abenteuer. Danach will er alles über unser Nordwand-Vorhaben wissen. Nach einer freundlichen Verabschiedung geht es weiter Richtung Planurahütte. Dann pfeift es hinter uns, wir drehen uns um und Prius ruft entgegen: "Wender d Nordwand vo nöch aluege?" Maumau und ich sehen uns verdutzt an, er besteht darauf, dass ich mitgehe. Ohne Zögern stimmen wir zu und kurz darauf sitze ich mit Kopfhörern in einem kleinen Flugzeug und wir starten im Schnee driftend, um dann Richtung Tödi zu fliegen. In der Thermik der südexponierten Felsen drehen wir auf und fliegen danach ins Lee zur Nordwand. Komplett überwältigt sehe ich unsere Linie, in der Firnrinne hinauf zum perfekten Eisschlauch, danach querend zurück zur Rinne bis unter den Serac, rundherum und hoch zum windexponierten Rücken, der auf den Gipfel führt. Ich mache Videos und Fotos vom Abstieg und unserer Linie. Ein paar Minuten später sind wir schon wieder beim Landeanflug. Vor lauter Dankbarkeit und Aufregung hätte ich beinahe diesen freundlichen und fremden Piloten überschwänglich umarmt. In letzter Sekunde hält mich meine Vernunft davon ab, diesen armen Mann mit meiner Nähe zu überwältigen. So bleibt es bei einem Handschlag und vielen dankenden Worten. Nun nehmen wir die letzten Minuten Richtung Planurahütte auf uns und murxen den letzten steilen Hang hinauf. Das Quietschen des styroporartigen Schnees macht uns gute Hoffnungen für das morgige Abenteuer. In der Hütte belohnen wir uns mit einem ausgiebigen Apéro in der Sonne und beginnen bald darauf viel Schnee zu schmelzen.

Sonnenuntergang Planurahütte

Als mir Rolf Bäbler Anfang dieser Woche die Fotos seiner möglichen Erstbegehung geschickt hat, ist für mich klar, diese Linie unbedingt wiederholen zu wollen. Maurus ist begeistert von der Idee. Nun habe ich eine angemessene emotionale Ablenkung gefunden, mit einer perfekten Tour, dem dafür optimalen Partner und einigermaßen geeignetem Wetter. Windböen von 70-90 km/h würden uns wohl kaum aufhalten, wenn das Wetter sonst klare Sicht verspricht.

Routenverlauf an der Tödi Nordostwand

Um drei Uhr vibriert die Uhr. Mit viel Kaffee und einem Brownie zum Frühstück zwingen wir uns zu den Lebenden zurück. Um vier Uhr verlassen wir das Biwak und fahren östlich den Sandfirn Richtung Sandpass ab. Begleitet von den starken Windböen laufen wir vom Sandpass dem Grat entlang, umgehen den chly Tödi südlich und steigen ein kurzes Couloir hoch, womit wir bald auf dem Gletscherplateau unterhalb der Nordwand stehen. Unsere Skier und das Übernachtungsmaterial wird deponiert und wir queren mit einem Rucksack weiter in die Mitte der Nordwestwand, wo unsere Linie mit einer schmalen Rinne beginnt. Bereits nach wenigen Metern in der Rinne klettern wir einen steilen Styroporschnee-Aufschwung, woraufhin noch weitere folgen, die ungesichert bereits eine stabile Psyche erfordern. Da wir sowieso kaum Zwischensicherungen hätten legen können, erübrigt sich die Diskussion bezüglich des Anseilens. Wieder im flacheren Gelände angekommen, stampfen wir uns höher und queren bald rechts aus der Rinne um zum Eisfall zu gelangen. Beim Anblick dieser Linie beginnt mein Herz deutlich schneller zu schlagen. Dieses Mal nicht aus lauter Vorfreude, sondern aus Respekt. So hatte die Linie gestern aus dem Flugzeug doch einiges flacher und einfacher ausgesehen. Angeseilt, mit meinen Eisgerätebabys bewaffnet taste ich mich langsam ans Eis. Schon der erste Schlag und das dumpfe Hallen verrät eine schlechtere Eisqualität als erhofft. Mein Kopf schaltet in den sicher-und-langsam-klettern Modus, und ich taste mich Hook um Hook hoch und versuche die bestmöglichen Tritte und Sicherungspunkte zu finden. Als der erste abgelöste Eisaufschwung überwunden ist, wird es einfacher und ich kann etwas an Geschwindigkeit zulegen. Kopfschüttelnd frage ich mich, ob es meinem Ego wirklich so stark geschadet hätte, Maumau um 8 statt nur 5 Eisschrauben für 50m Seillängen zu bitten? Da zwei bereits für die Stände gebraucht wurden, habe ich genau noch drei Stück als Zwischensicherung. Grandios, ich und meine maßlose Selbstüberschätzung. Und als kleine Bestrafung für diese Fehlplanung zwinge ich mich auch mindestens die 50 Meter zu klettern, damit sich ein nächstes Mal wenigstens meine Angst über mein zerbrechliches Ego stellt. Und schon wieder frage ich mich, wieso ich es nicht bei südexponierten Sportkletterrouten belassen kann?

Eisschlauch durch Flugreko, steilste Kletterstelle in mässig gutem Eis. Foto: Maurus Bucher

Die Pausen beim Nachstiegssichern lassen mich gerade so stark erholen, dass ich Energie für die nächste Seillänge aufbringe. Erleichtert komme ich zum Quergang, sichere Maurus die letzten Eismeter hoch und nehme danach die Schnee- und Mixedtraverse in Angriff. Mit zwar wenigen Absicherungen aber in einfachem Gelände erreiche ich eine steil abfallende Felspassage, die zurück in die Rinne führt. Nach einiger Zeit der Suche finden wir Schlitze um zwei Schlaghaken zu versenken und einen vernünftigen Abseilstand einzurichten. Zurück in der Rinne wartet noch einmal eine schöne Mixed Seillänge auf uns. Begleitet von vielen Spindrifts klettere ich mittlerweile ungeduldig höher, egal ob es Schnee rieselt oder nicht. Die letzten Meter klettern wir simultan, bis ich unter einem eindrücklichen Serac Halt mache. Alle Jacken, die Skibrille und die dicksten Handschuhe sind montiert und wir wagen es auf den Rücken, der enorme Windböen verspricht. Quer in der Landschaft kämpfen wir uns gegen den Wind die letzten einfachen Meter Richtung Gipfel. Eine kurze Umarmung neben dem Kreuz und gleich darauf gehen wir Richtung Westwand um abzusteigen. Bereits nach ein paar Metern ist der starke Wind verschwunden, und wir steigen in trittigem Schnee in der Sonne ab. Mal rückwärts, dann vorwärts und wieder mal seitwärts verlieren wir nach und nach an Höhe. Der Spur folgend queren wir bald zurück auf das Plateau auf der Nordwestseite und kommen bei unserem deponierten Material an. Gepackt heißt es nun, mit schweren Rucksäcken auf den Skiern viele Höhenmeter in schrecklichem Schnee zu vernichten. Quälend schwingen, rutschen und queren wir den Hang hinunter bis zum Ober Sand. Um jeglichen Gegenanstieg zu vermeiden, folgen wir dem Rat von Rolf und fahren den direkten Wanderweg neben dem Oberstaffelbach hinunter. Ab dem Hinter Sand laufen und fahren wir abwechslungsweise das kaum endende Tal hinaus. Die letzten 40 Minuten sind wir zu Fuß auf einer aperen Straße unterwegs und kommen bald im Tierfed beim deponierten Auto an. In unseren müden Gliedern breitet sich die bekannte Zufriedenheit aus. Stolz und erschöpft nehmen wir den Heimweg in Angriff. Und schon wieder wird mir klar, dass ich das Leiden viel zu sehr mag, als dass ich langfristig darauf verzichten könnte.

Material:

  • 60m Halbseile
  • mindestens 8 kurze Eisschrauben oder eine verdammt stabile Psyche
  • 0.3-0.75 Totems
  • 2-3 Schlaghaken
  • 1-2 Pecker

Tipps:

  • über Planurahütte, um Biwak- und Kochmaterial zu sparen
  • Flugzeugpilot vollquatschen, um optimale Routen-Reko zu machen 😉
  • bei guten Flugbedingungen mit Gleitschirm kombinieren

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